Eine geistreiche und inspirierende Expedition in das Wunderland Evolution
Wahre Monster - Ein unglaubliches Bestiarium von Caspar Henderson
„Wahre Monster - Ein unglaubliches Bestiarium“ erschien 2014 bei Matthes und Seitz Berlin und ist Teil einer Reihe, die ihres Gleichen sucht und den Titel „Naturkunden“ trägt. Die Reihe beschäftigt sich mit allem was uns Menschen umgibt, uns beeinflusst, prägt und wie wir diese Dinge, manchmal folgenschwer, verändern.
Wundersame Lebewesen und geistreiches Abschweifen
Wie der Titel des Buches schon erahnen lässt, geht es um wahre Monster. Keine Vampire, Werwölfe oder Einhörner, sondern echte, lebendige Tiere, die mit uns auf diesem Planeten weilen. Meist sind sie zunächst unscheinbar, so dass uns nicht in den Sinn kommen würde, sie als Monster zu bezeichnen, wie zum Beispiel die Muräne. Casper Henderson beschreibt, dass jahrelang die Nahrungsaufnahme der Muräne ein Rätsel war, bis man 2006 herausfand, dass Muränen ein zweites Kieferpaar tief in ihrem Rachen besitzen, was blitzschnell nach vorne schießt und die Beute packt. Als ich diese Zeilen las, war mein erster Gedanke: „Alien“.
Ich bin seit Jahren ein Fan des Künstlers H. R. Giger und dies ist einer der Gründe, weshalb die Filmreihen zu Alien, von Ridley Scott, eine meiner liebsten ist. Und dass es ein Wesen auf der Erde gibt, das ein Merkmal dieses fiktiven aber wahrlichen Monsters besitzt, hat mich mehr als beeindruckt. Jedoch hätte ich noch weniger damit gerechnet, dass Casper Henderson auf den nächsten Zeilen zur Muräne genau dies ansprechen würde, eben H. R. Giger und die Filmreihe Alien. Und genau diese Schreibweise macht dieses Buch zu meinem persönlichen Goldstück. Es ist auf eine Art und Weise geschrieben, die einen packt und mitreisst, eine Tür für Neues öffnet, nicht nur das Thema Lebewesen betreffend. Casper Henderson schreibt selbst, dass er immer mal wieder abschweift aber genau das ist es, was dieses Buch ausmacht – lesenswert macht. Denn wer rechnet schon damit, in einem Bestiarium Dinge über H. R. Giger, Atombomben oder schwarze Löcher zu lesen? Doch nicht nur inhaltlich kann das Buch von Casper Henderson völlig überzeugen. Das gesamte Werk, die Farben, die Schrift und der Druck, ja selbst das Papier lassen den Leser nicht mehr los. Sie verleiten zum weiter und immer wieder lesen. Doch bevor man dies selber erleben kann, stehen der Weg zur Buchhandlung des Vertrauens und die Frage:
»Soll ich dieses Buch kaufen?«
In den ersten Sekunden des Betrachtens entscheidet der potenzielle Käufer, ob er Interesse am Produkt hat oder nicht. Daher muss vor allem das Cover eines Buches überzeugen. Im Falle von »Wahre Monster - Ein unglaubliches Bestiarium«, ist dies gelungen. Was dem Betrachtenden zuerst auffällt, ist der blauschwarze Titel. Dieser wurde in Versalien gesetzt, so wird er zum Blickfang und hebt sich deutlich vom messingfarbenen Hintergrund ab.
Als Nächstes werden die Illustrationen begutachtet, die im direkten Kontext zum Titel stehen. Diese faszinierenden und detailreichen Darstellungen der »Monster« zeigen bereits jetzt einen kleinen Einblick in diese faszinierende Thematik.
Ist der erste Eindruck positiv und der Betrachtende zeigt Interesse, folgt der nächste Schritt. Der potentielle Lesende nimmt das Buch in seine Hände. So unbedeutend es erscheinen mag, ist dieser Schritt doch extrem wichtig. Denn sind wir mal ehrlich, wer nimmt gerne ein 1500 Seiten langes Lexikon in die Hand, wenn es nicht unbedingt sein muss? Aber dieses Buch ist anders, es liegt perfekt in der Hand. Es besticht vor allem durch sein messingfarbenes Gewebe und den sehr flexiblen Einband. Es erregt Aufmerksamkeit und lädt in gewisser Weise zum »Spielen« ein. Man biegt dieses Buch automatisch, sobald man es in den Händen hält. Der ein oder andere fährt vielleicht mit den Fingern über den Titel und fühlt die Prägung der Buchstaben, die sich auch auf dem Buchrücken wiederfindet. Ein anderer entdeckt vielleicht den gefärbten Kopfschnitt, der das Buch gleich noch ein wenig edler und spezieller wirken lässt.
Wenn nun auch der meist letzte Akt, das Lesen des Rückentextes, überzeugt, wird der Betrachtende zum Kaufenden. Daheim angekommen kann er oder sie es kaum erwarten, in die Welt der »Monster« entführt zu werden und schlägt zum ersten Mal das Buch auf. Zunächst fällt das blaue Vorsatzpapier auf, welches perfekt in das Farbschema dieses Buches passt. Darauf folgen Schmutztitel und Frontispiz, jeweils mit wunderschön gestalteten Illustrationen. Während er oder sie weiterliest, wird das gute Aufschlagverhalten der Seiten bemerkt. Dies wird durch die Fadenheftung gewährleistet, die auch eine gewisse Wertigkeit vermittelt. Nebenbei wird das Papier zwischen den Fingern gefühlt. Es ist weich und trotz seiner geringen Stärke (90 g/m²) scheinen die Illustrationen und Texte nicht unangenehm hindurch. Es wird weitergelesen und in spannende Welten eingetaucht und trotz all der Leserei bleiben die Augen entspannt, obwohl das Buch auf mattem, hochweißen Papier gedruckt ist. Aber die Farbe der Schrift ist nicht, wie sonst, schwarz, sondern blauschwarz. So entsteht ein angenehmer Kontrast zwischen Text und Papier und die Augen des Lesenden ermüden nicht so schnell. Außerdem wird so das Farbkonzept (Messing und Blau) konsequent durchgesetzt.
Man könnte noch seitenweise über die Qualität dieses Buches schreiben. Eine Barock-Antiqua in traumhaftem Flattersatz gesetzt, Maginalspalten, Kapitalband, Leseband und so vieles mehr gibt es zu entdecken. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb dieses Buch 2015 von der Stiftung Buchkunst zu einem der schönsten deutschen Bücher gewählt wurde. Und einer der Gründe, weshalb dieses Buch einen Platz in meinem Bücherregal fand. Seit ich es auf der Frankfurter Buchmesse das erste Mal sah, wollte ich, dass es (s)einen Platz neben »Symbiosen« von Johann Brandstetter und »Wölfe« von Petra Ahne bekommt. Und ich kann allen, die sich mehr mit ihrer Umwelt befassen und die Schönheit in so manchen »Monster« erkennen, nur raten, diesem Buch auch einen Platz in ihren Bücherregalen zu schenken.
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