Das Grafische Viertel in der Leipziger Ostvorstadt, nahe dem Hauptbahnhof, war bis zur Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts eine urbane Kulmination von verschiedenen Unternehmen, die rund um die Buchbranche tätig waren und machte Leipzig damit bis 1945 zum führenden Medien- und Verlagsstandort in Deutschland.
Neben namhaften Verlagen, wie dem F.A. Brockhaus Verlag und dem Verlag Philipp Reclam jun, waren auch zahlreiche Musikverlage, wie Breitkopf und Härtel -dem ältesten Musikverlag der Welt (1719 gegründet)-, C. F. Peters und der Friedrich Hofmeister Musikverlag, die teilweise bis heute Standorte in Leipzig haben, dort ansässig. Die Liste der ehemaligen Verlagshäuser, Druckereien, Schriftgießereien, Papier- Buchhandlungen und Buchbindereien, die teils pompöse und eindrucksvolle Industriegebäude im Grafischen, besaßen, ließe sich aber fast endlos fortführen. Über 2200 Unternehmen unterschiedlichster Größen waren dem Leipziger Stadtadressbuch zufolge im 19 und 20. Jahrhundert in Leipzig im Buchgewerbe tätig, davon mehr als 2100 im Grafischen Viertel. Ab 1894 wurde hier auch die Leipziger Volkszeitung von der G. Heinisch Druckerei gedruckt. Im Jahr 1900, dem Zenit der infrastrukturellen Entwicklung, war das Grafische Viertel vollends entwickelt, wobei seine Geschichte bis ins 13. Jahrhundert zur Erstbebauung der Grimmaischen Vorstadt, heute an der Grimmaischen Straße oder der Errichtung der heute nicht mehr existenten Johanniskirche, zurück reicht.
Dieser Ort konzentrierten Wissens allerdings fiel im Zweiten Weltkrieg zwei Bombenangriffen zum Opfer, bei denen ein Großteil des Grafischen Viertels und der Institutionen, die es beherbergte, zerstört wurden, was zu einem Schaden unvorstellbaren Ausmaßes führte. Zahlreiche Gebäude wurden dem Erdboden gleichgemacht und unzählige Bücher verbrannt, womit auch Leipzig und seine Stellung und Ruf als Stadt das Buches und der Verlage degradiert wurden. Die letzten Relikte dieser Zeit fielen dann dem weiteren Verlauf der Geschichte zum Opfer. So kam es, dass nach der Trennung Deutschlands in Ost und West viele der Unternehmen, die im Grafischen Viertel tätig waren, ihre Sitze nach Westdeutschland verlagerten. Die anderen Betriebe wurden nach der Zwangsenteignung in der DDR zu Volkseigenen Betrieben, wie der Musikverlag C. F. Peters und der Friedrich Hofmeister Musikverlag, die heute, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, jeweils Standorte in Leipzig und in Westdeutschland unterhalten. In der DDR wurden Teile des Grafischen Viertels wiederaufgebaut, welche dann, durch die anhaltende Rezession, allerdings vernachlässigt und so marode wurden.
Neuen Aufschwung erhielt die Entwicklung, teils initialisiert durch die Rückverlagerung des Hauptstandort von Breitkopf und Härtel, nach der Wende durch Wieder- und Neuansiedlungen von Unternehmen und neue Bautätigkeiten- wohnen kann man hier heute auch wieder, zum Beispiel in einer der zahlreichen sanierten Altbauten in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt. Auch Edition Peters hat seit 2014 wieder seinen Hauptsitz in Leipzig, nahe dem Mendelssohnhaus. Heute findet man eine breite Varietät an Unternehmen verschiedenster Branchen im Grafischen Viertel, die ihre Standorte in Bürogebäuden, wie dem Brockhaus- Zentrum und dem Listbogen, haben.
Bildung spielt heute im Grafischen Viertel eine ebenso große Rolle. So gibt es in und um das Grafische Viertel mehrere Schulen, sowie das Max- Planck- Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften. Andere Einrichtungen erzählen aber auch die traditionelle Geschichte des Grafischen Viertels weiter, so etwa die Gutenberggalerie, das Literaturhaus Leipzig oder das Haus des Buches, einem 1996 auf dem ehemaligen Grundstück des Börsenvereines der Deutschen Buchhändler errichteten Neubaus, das als Büro- und Veranstaltungsgebäude hauptsächlich für literarische Vereine fungiert.
Auch weitere Bautätigkeiten sind in Gange. So wurde zum Beispiel erst kürzlich das Interdruck Palais, nahe dem Johannisplatz, mit neuen Wohnungen und Büro- und Ladenflächen, fertiggestellt, ein saniertes Bauobjekt aus dem Jahr 1916. Das Grafische Viertel ist heute auch Teil der Leipziger Notenspur- auch das Schumannhaus befindet sich hier.
Autor: Toni Barth