Die Stadt Leipzig begeht vom 25. Juni bis zum 2. Juli die Jüdische Woche, in deren Rahmen die Teilnehmer jüdische Kunst und Kultur in vielen verschiedenen Veranstaltungen erleben können. Die jüdische Woche findet alle zwei Jahre statt und wird vom Kulturamt der Stadt Leipzig und dem Kultur- und Begegnungszentrum Ariowitsch- Haus e.V. durchgeführt, wobei sich auch viele weitere Vereine und Institutionen am Programm beteiligen. Zu diesem Anlass haben sich auch die Studierenden der Buch- und Medienproduktion mit jüdischem Leben in Verbindung mit der Buchbranche in Leipzig auseinandergesetzt.
Jüdisches Leben existiert schon seit 1700 Jahren nachweislich in Deutschland[1] und hat die Kultur und Gesellschaft durch seine bloße Anwesenheit und auch durch viele jüdische Persönlichkeiten, deren Werke bis heute noch große Bedeutung haben, bereichert und geprägt. Einige Beispiele solcher Persönlichkeiten sind die Schriftsteller Franz Kafka und Heinrich Heine, die Komponisten Felix Mendelsohn Bartholdy und Gustav Mahler, die Wissenschaftler Albert Einstein und Sigmund Freud, der Philosoph Karl Marx und die Politikerin Rosa Luxemburg.
Auch Leipzig ist von diesem Einfluss nicht unberührt geblieben. Zwar war es Juden bis zum 18. Jahrhundert verboten, sich in Leipzig anzusiedeln, jedoch fanden sich dreimal jährlich viele jüdische Kaufleute zur Messe in der Stadt ein. Nachdem es ihnen möglich war, sich dauerhaft in der Stadt niederzulassen, entstand eine blühende jüdische Gemeinde, die 1925 mit 12.594 Mitgliedern die sechstgrößte in Deutschland war. Nach dem Erlass der „Nürnberger Gesetze“ 1935 wurden etwa 15000 Menschen in Leipzig als Juden verfolgt.
Im Mai 1945 gründeten vierundzwanzig jüdische Überlebende der Shoah in Leipzig erneut eine jüdische Gemeinde in der Stadt.[2]
Heute existiert wieder eine jüdische Gemeinde in Leipzig, die die Stadt auf vielfältige Art bereichert, was unter anderem bei der jüdischen Woche deutlich sichtbar wird.
Ein wichtiger Teil der jüdischen Kultur ist auch ihre Erinnerungskultur. Wenn man sich an die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Leipzig erinnert, ist die Shoah ein unübersehbarer Einschnitt, der fast die vollkommene Vernichtung jüdischen Lebens zur Folge gehabt hätte. Wenn man sich auch im Rahmen der jüdischen Woche an die Geschichte der Juden in Leipzig erinnert, muss man sich auch an die Gräueltaten erinnern, die an ihnen im Verlauf dieser Geschichte verübt wurden.
Auf einer Gedenkveranstaltung fiel einmal der Satz: „Hitler hat den Antisemitismus nicht erfunden. Und mit seinem Tod ist der Antisemitismus auch nicht aus Europa verschwunden.“ Das ist auch für die Stadt Leipzig wahr. Wie oben erwähnt, war es Juden lange verboten sich in Leipzig anzusiedeln, doch das war nur eine von vielen Auswirkungen des Antisemitismus in der Bevölkerung. Antisemitismus und Antijudaismus existierten schon in den frühen Anfängen der Kirche und zeigen noch heute ihr hässliches Gesicht. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Anschlag, der Yom Kippur 2019 auf die Synagoge in Halle verübt wurde und deutschlandweit zu Erschütterung geführt hat.
Oft wird gesagt, dass es die Verantwortung der gesamten Bevölkerung ist, solche Anschläge unmöglich zu machen und die Verbreitung von antisemitischen Ideen und Gedankengut nicht zuzulassen. Insbesondere stehen dabei aktuell die sozialen Medien in der Kritik, wenn es um antisemitische Inhalte geht. Wenn man auf die Geschichte zurückblickt, wird klar, dass auch das Buch eine signifikante Rolle in der Verbreitung antisemitischer Ideen und Gedankenguts gespielt hat. So auch in Leipzig: Theodor Fritsch war ein Publizist, Politiker und Verleger in Leipzig. Er verfasste selbst viele antisemitische Schriften. 1887 erschien sein „Antisemiten-Katechismus“ in der monatlich erscheinenden „Antisemitischen Correspodenz“, vom Leipziger Verlag von Herrmann Bayer. In drei Teilen umfasste dieser unter anderem antisemitische Strömungen, Äußerungen, Sprüche, Verschwörungstheorien und Propaganda, sowie einer Liste jüdischer Künstler und Wissenschaftler, denen hier verschiedene Verbrechen nachgesagt wurden. Zwei Jahre später wurde eine gekürzte Fassung mit dem Titel „Thatsachen zur Judenfrage (Das ABC der Antisemiten). Auszug aus dem Antisemiten-Katechismus“ veröffentlicht. Später gründete Fritsch die antisemitische Zeitschrift „Hammer“. Diese erschien sehr erfolgreich bis 1940. 1907 veröffentlichte er das „Handbuch zur Judenfrage. Eine Zusammenfassung des wichtigsten Materials zur Beurteilung des jüdischen Volkes“, [3] über das Hitler: „Ich bin überzeugt, daß gerade dieses in besonderer Weise mitgewirkt hat, den Boden vorzubereiten für die nationalsozialistische Bewegung. Ich hoffe, daß das Handbuch allmählich in jeder deutschen Familie zu finden ist." schrieb.[4]
Fritschs Hammer-Verlag veröffentlichte auch die deutsche Fassung von Henry Fords „Der internationale Jude: Ein Weltproblem“, ein vierteiliges, antisemitisches Werk, das in insgesamt 26 Sprachen erschien. Auch das antisemitische Pamphlet „Protokolle der Weisen von Zion“, das die angeblichen Pläne einer jüdischen Weltverschwörung ans Licht bringen sollte,wurde vom Hammer-Verlag veröffentlicht.[5]
Theodor Fritsch starb im September 1933 und stellt ein einprägsames Beispiel für die Verbreitung antisemitischer Ideologien und Schriften durch die Buchbranche bereits vor der Zeit des Nationalsozialismus dar. Allerdings war er nicht allein in seinen Ansichten und viele andere Verlage veröffentlichten ähnliche Werke wie der Hammer-Verlag.
Neben der aktiven Verbreitung antisemitischer Ideologien, wie in den Werken des Hammer-Verlags, trug auch literarischer Antisemitismus, die Darstellung antisemitischer Klischees in literarischen Texten, Mitschuld an antisemitischen Grundeinstellungen in der Bevölkerung.
Literarischer Antisemitismus kann sehr offensichtlich und unverkennbar sein, aber er kann auch leicht zu übersehen sein, sodass fraglich wird, ob er überhaupt vorhanden ist. Shylock aus Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“, ein gieriger Bankier, der verlangt, dass Schulden mit dem Fleisch des Schuldners beglichen werden, und Fagin aus Charles Dickens „Oliver Twist“, ein Hehler mit Hackennase und ekelerregendem Äußeren, sind beide Juden und werden oft als Paradebeispiele für antisemitische Darstellungen in klassischer Literatur aufgeführt.
„Lesen ist Denken mit fremdem Gehirn“, sagt Jorge Luis Borges[6], umso gefährlicher ist es, Literatur zu lesen, in der antisemitische Stereotypen vorkommen, ohne offensichtlich bemerkbar zu sein, da es passieren kann, dass der Leser anfängt sie für wahr zu halten, ohne es selbst zu merken. Solche antisemitischen Grundeinstellungen können schnell die Form von abwertenden Kommentaren in den sozialen Medien annehmen und sogar in Straftaten ausarten. 2021 erreichten die antisemitischen Straftaten in Deutschland einen neuen Höchstwert mit 3.027 erfassten Straftaten, wovon 64 Gewaltdelikte waren. Auch im letzten Jahr gab es 2.641 erfasste antisemitische Straftaten, 88 davon Gewalttaten.[7]
Die jüdische Woche feiert jüdisches Leben und Kultur in der Stadt. Die größte Bedrohung für jüdisches Leben ist Antisemitismus in all seinen Formen, wie die Geschichte zeigt.
Daher ist es auch für die Buchbranche wichtig keine Verbreitung antisemitischer Ideen zuzulassen und gleichzeitig Meinungsfreiheit und den ungestörten Austausch von Ideen zu garantieren. Die Verantwortung dafür liegt gleichermaßen bei Autoren, Verlegern, Kritikern und Buchhändlern. Und auch bei uns Studierenden, die wir auf dem Weg sind, Mitglieder der Buchbranche zu werden.
[1]https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/juedischesleben/
[2]http://www.irg-leipzig.de/page/geschichte
[3]https://www.dhm.de/lemo/biografie/theodor-fritsch.html
[4] HaMakom, Ausstallung „Aufdecken, Entdecken, Das Schweigen brechen“ (https://hamakom-leipzig.de/)
[5]https://www.dhm.de/lemo/biografie/theodor-fritsch.html
[6]http://www.denkschatz.com/zitate/Jorge-Luis-Borges/Lesen-ist-Denken-mit-fremdem-Gehirn
[7]https://mediendienst-integration.de/desintegration/antisemitismus.html
Bildquelle: https://ariowitschhaus.de/projekte/