Krieg, Untergang eines politischen Systems und Aufgang eines neuen haben die Deutschen in den 1940er Jahre einen Umbruch erleben lassen, der sich auf alle Bereiche des Lebens erstreckt und diese teilweise radikal verändert hatte. Auch Teile der Geschichte und der Kultur der deutschen Typographie wurden verschüttet und vergessen. Seitdem kämpfen einzelne Typographieliebhaber für die (digitale) Auferstehung vergangener Schriften und das Ansehen ihrer Entwerfer. Zu Recht, denn wer ein wenig sucht, kann wahre Schätze finden.
So auch im Schriftenkatalog des VEB Typoart Dresden, einem Schriftgussbetrieb der DDR, der zwischen 1950 und 1980 maßgeblich die Typographie in der DDR beeinflusste und prägte. Bedeutenden Anteil daran hatten die Typographen Herbert Thannhaeuser und Albert Kapr, welche in dieser Zeit die künstlerische Leitung innehatten.
Der VEB Typoart Dresden entstand nach dem 2. Weltkrieg durch den Zusammenschluss verschiedener noch funktionstüchtiger Schriftgussbetriebe sowie Druckereien auf dem Gebiet der DDR – darunter die Schelter & Giesecke AG und die Ludwig Wagner KG, beide in Leipzig ansässig, sowie die Schriftguss KG in Dresden. Das Unternehmen „Typoart“ war dabei der Zentralen Druckerei-Einkaufs- und Revisionsgesellschaft mbH (Zentrag) unterstellt, einem Unternehmen zur Kontrolle aller DDR-Drucktätigkeiten.
Schätzungen zufolge wurden während des Krieges etwa zwei Drittel der Schrifttypen zerstört, was einen großen Bedarf an neuen Schriften nach sich zog (Quelle: www.fonts4ever.com/portrait_library.php - wird in Fußnote angegeben). Durch den Zusammenbruch der Infrastruktur und den Mangel an Rohstoffen infolge des 2. Weltkrieges war die Herstellung von Bleilettern jedoch deutlich erschwert. Der Aufbauprozess dauerte daher bis zum Anfang der 1950er Jahre. Von dieser Zeit an konnte das Unternehmen „Typoart“ seine Aufgabe als Hersteller und Lieferant von Bleilettern für den Handsatz sowie Messingmatrizen für die Zeilengußmaschinen, unter der künstlerischen Leitung Herbert Thannhäusers, wieder erfolgreich aufnehmen.
Zur internationalen Buchkunstausstellung im Jahre 1957 in Leipzig, an der 39 Grafiker mit 104 Entwürfen neuer Satzschriften teilnahmen, wurde Albert Kapr, Professor für Schrift- und Buchgestaltung an der Leipziger Hochschule für Graphik und Buchkunst (HGB) und zu dieser Zeit ebenso Mitarbeiter des VEB Typoart Dresden für seine Entwürfe prämiert. Diese Entwürfe wurden von da an unter dem Namen »Leipziger Antiqua« in das Typoart-Programm aufgenommen. Fünf Jahre später wurde der VEB Typoart in die Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Polygrafische Industrie aufgenommen. Zudem erhielt das Unternehmen den Gutenbergpreis der Stadt Leipzig für die sehr gute Qualität fünf neuer Schriftfamilien und deren exportfähiger Matrizen. Jedoch wird auch Kritik laut, dass das Schriftenprogramm des Unternehmens sehr stark durch die Entwürfe Herbert Thannhaeusers dominiert und damit zu einseitig sei.
Nach dem Tod Thannhaeusers im Jahre 1963 übernahm Albert Kapr die künstlerische Leitung des Unternehmens. Aufgrund seiner Vorbildungen und des organisatorischen Talentes war er schnell in der Lage, Prioritäten zu setzen. So gründete er den künstlerisch-technischen Beirat, der sich aus Fachleuten aus Verlagen und Druckereien sowie Künstlern zusammensetzte und fortan für die Prüfung des Schriftenprogramms verantwortlich war. Weiterhin ordnete er den Produktionsplan mit 40 neuen Schriften in Zusammenarbeit mit anderen sozialistischen Ländern an. Durch diese Neuerungen wurde im Jahre 1965 die Produktion von 4,5 Millionen Schriftmatrizen erreicht und die erste Maschine zum elektronischen Mengensatz (Digiset der Firma Hell, Kiel) in Betrieb genommen.
Fünf Jahre später wurde die Typoart Eigentum der SED und der Zentrag-Berlin unterstellt und führte seit diesem Zeitpunkt die Unternehmensbezeichnung "Typoart Dresden". In Folge dessen wurden die bis dato wichtigsten Druckereien zu drei führenden Zentren für den Fotosatz in Berlin, Leipzig und Dresden zusammengeschlossen. Zum 25-jährigen Jubiläum veröffentlichte Albert Kapr seine Typoart-Typenkunst, in der 19 ausgewählte Schriften des Unternehmens vorgestellt wurden. Das Buch gewann die Auszeichnung als schönstes Buch.
1977 nahm Nobert du Vinage seine Arbeit im Unternehmen auf, zunächst, um die digitale Entwicklung voranzutreiben und später, um die künstlerische Leitung nach dem Ausscheiden Kaprs 1987 zu übernehmen. Ab dem Jahr 1980 begannen schließlich die Umbauarbeiten für den neuen Betriebsteil der elektronischen Fertigung. Fünf Jahre nach Beginn der Umgestaltung des Bereichs für den Bau elektronischer Geräte und Softwareentwicklung, wurde 1985 der erste Bildschirmarbeitsplatz BAP 2000 produziert.
Nach dem Fall der Mauer wandelte die Treuhand die Typoart Dresden in eine GmbH mit 230 Mitarbeitern um, die im darauffolgenden Jahr mit dem Unternehmen Karl Holzer Computer fusionierte und von da an drei Unternehmensschwerpunkte ausbildet: 1. Softwareentwicklung, 2. Verarbeitung von Metall und Keramik und 3. moderne Offsetdruckerei mit DTP-Anlage.
Im Jahre 1995 löste sich die Typoart GmbH aus bislang ungeklärten Umständen, vermutlich aufgrund einer Insolvenz, auf. (Quelle: typoart-freunde.andiheintzel.de/TAF-II_v2.swf) Bislang sind Lizenzrechte noch nicht vollständig geklärt, wodurch einige Schriftgestalter noch immer auf ihre Anerkennung warten. Ein Teil der Schriften wird heute durch andere Unternehmen digital angeboten und vertrieben.
Um hinter die Fassade des VEB Typoart Dresden blicken zu können und einen Eindruck der Produkte zu erhalten, soll an dieser Stelle die Möglichkeit genutzt werden, die beiden Typographen Herbert Thannhaeuser und Albert Kapr zusammen mit zwei ausgewählten Schriften etwas genauer zu betrachten.
Herbert Thannhaeuser – prägender Charakter für die Typographie der DDR
Der deutsche Gebrauchsgrafiker und Schriftgestalter Herbert Thannhaeuser wurde am 2. Dezember 1898 in Berlin geboren. Im Alter von 14 Jahren begann er eine Ausbildung zum Porzellanmaler, änderte aber bald darauf sein Berufsziel und wurde Schüler des Plakatmalers Ernst Deutsch. Während seiner Ausbildung sammelte er erste wichtige Erfahrungen als Werbegrafiker und gestaltete seine ersten Schriften.
Ab dem Jahre 1922 begann er seine Tätigkeit im Unternehmen Erasmusdruck Berlin, in dem er 1925 die künstlerische Leitung übernahm. Parallel dazu arbeitete er als Freischaffender für weitere Auftraggeber wie beispielsweise die Schriftguss AG in Dresden.
1933 beauftragte die Schelter & Giesecke AG in Leipzig Thannhaeuser, als künstlerischen Berater, mit der Aufgabe die veraltete Produktion der Schriftgießerei zu verbessern. Diese Berufung beinhaltete unter anderem die Erneuerung der Schulfraktur für die Beschilderung der Straßennamen, woraus letztlich seine sehr erfolgreiche Thannhaeuser-Fraktur (1938) hervorging.
Im Jahr 1951 wurden die Schriftgießereien Schelter & Giesecke und Schriftguss Dresden zum VEB Typoart Dresden zusammengeschlossen, dessen künstlerische Leitung Thannhaeuser bis zu seinem Tode im Jahre 1963 innehatte.
Während seiner Tätigkeiten als Schriftgestalter und künstlerischer Leiter überarbeitete er unter anderem die Schrift »Europa«, die er anschließend in »Liberta« (1956) umbenannte, gestaltete die »Adasta« (1928), die »Lotto« (1955) sowie seine Variante der »Garamond« (1955). Im März 1960 wurde ihm der Kunstpreis der DDR verliehen.
Eine der am häufigsten verwendeten Schriften der DDR
Claude Garamond (1480 – 1561) entwarf seine berühmteste Schrift, die heute unter dem Namen »Garamond« bekannt ist, inmitten der turbulenten französischen Renaissance. Über Jahrhunderte bestimmte sie den Ausdruck lateinischer Schriften und findet auch heute noch durch ihre sehr gute Lesbarkeit und heitere Eleganz eine breite Verwendung.
Der Drucker und Lehrmeister Antoine Augerau lehrte seine Schüler stets nach dem Ausspruch: Neue Ansichten brauchen neue Schriften. Der sehr talentierte Stempelschneider Claude Garamond nahm diese Herausforderung Zeit seines Lebens an.
Im Jahre 1530 entwarf er für den berühmten Drucker Robert Estienne einen eigenen Cicero-Type, der große Bewunderung auslöste. Fast 100 Jahre später, um 1620, wird diese Schriftart unter dem Namen »Garamond« von dem Schweizer Jean Jannon nachgeschnitten und erlangt seine weltweite Berühmtheit. Unter Schriftgestaltern ist sie bis heute als Inbegriff ästhetischer Vollkommenheit zu verstehen.
Im Auftrag der Typoart Dresden entwickelte Herbert Thannhaeuser im Jahre 1955 anhand der historischen Drucke seine eigene Variante der Garamond für den Bleisatz und später auch für den Fotosatz. Für viele Gestalter gilt sie als die beste Garamond, die sie sich vorstellen können. Zudem zählt sie zu den am häufigsten in der DDR verwendeten Schriftarten, vor allem im Bereich der Belletristik.
Durch das offene und beruhigende gleichermaßen aber verspielte und dennoch seriös wirkende Schriftbild strahlt die Garamond einen besonders ruhigen Charakter und die Liebe zum Detail aus. Sie gilt als Renaissance-Antiqua, ihre Kursive hat jedoch deutlich barocke Züge. Charakteristisch sind die abgerundeten Serifen sowie die durchgängigen Strichstärkenkontraste. Ihre Schattenachse ist gerade. Der Querstrich beim Buchstaben »e« ist waagerecht. Zu den Besonderheiten zählt der gekrümmte Fuß des Buchstabens »a« sowie die nahe Kreuzung im Buchstaben »K«. Weiterhin erscheinen die Zahlen im Verhältnis zu den Buchstaben sehr groß.
Albert Kapr – eine Legende der deutschen Schriftgestaltung
Der Buchgestalter und Typograph Albert Kapr entwickelte seine Faszination von der Welt der Buchstaben schon in frühen Jahren. Heute gilt sein Werk als eines der bedeutendsten deutschsprachigen im Bereich der Typographie und Schriftgestaltung.
Geformt durch seinen Großvater, der ihm mit Ofenblech und weißer Kreide die Vielfalt der Schrift aufzeigte, begann der am 20. Juli 1918 geborene Albert Kapr im Alter von 15 Jahren seine Schriftsetzerlehre bei der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart (DVA), an welche er ein Studium an der Akademie der bildenden Künste anschloss. Die dortige Ausbildung erfolgte durch den bekannten Typographen Ernst Schneidler (u.a. Entwerfer der »Stempel-Schneidler«). Nach erfolgreichem Abschluss blieb er als Meisterschüler und Assistent für Schrift an der Technischen Universität Stuttgart, bis er 1948 nach Weimar zog, um eine Stelle als Dozent für Gebrauchsgraphik an der dortigen Hochschule für Architektur und bildende Künste anzunehmen. Schließlich konnte ihn 1951 die Leipziger Hochschule für Graphik und Buchkunst (HGB) für sich gewinnen, und so unterrichtete er nun als Professor für Schrift- und Buchgestaltung. In den folgenden Jahren gründete er das Institut für Buchgestaltung, welches er bis 1978 leitete – zeitweilig begleitend zum Amt des Rektors. Während seiner Tätigkeit im Unternehmen „Typoart“ veröffentlichte Kapr zahlreiche Schirften, darunter die »Neutra« (1968), die »Prillwitz« (1971 – 1981) sowie die »Leipziger Antiqua« (1970).
Für seine Arbeit wurde Albert Kapr mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 1961 mit dem Gutenberg-Preis der Stadt Leipzig. Er verstarb 1995 und hinterließ der Nachwelt mehrere aufgearbeitete Schriften sowie unzählige Veröffentlichungen. Dank seines Engagements wird seit 1961 jährlich eine Ausstellung zu den schönsten Büchern aus aller Welt organisiert.
Eine Schrift mit namhafter Bezeichnung
Die Leipziger Antiqua erschien ab 1971 bei Typoart Dresden als Hand-, Maschinen- und Fotosatzschrift. Nachdem sie im Zuge der Wende beinahe verloren ging, wurde sie schließlich von Tim Ahrens wiederentdeckt und digitalisiert. Ahrens fand in der Leipziger Antiqua Merkmale der Linear-Antiqua und der gebrochenen Schriften und bewunderte die einheitliche Ausführung dieser Kombination, die die Antiqua keineswegs gekünstelt oder ausgefallen erscheinen lässt. Die Schrift zeichnet sich durch gerade, lange und teilweise sehr markante Serifen aus, wie beispielhaft am Buchstaben »y« zu erkennen. Die Winkel sind ausgerundet. Die Schattenachse beim Buchstaben »o« ist stark geneigt, wobei sie bei den Minuskeln stärker ausgeprägt ist als bei den Versalien. Die Buchstaben weisen durchweg einen starken Strichstärkenkontrast auf. Der Querstrich des Buchstabens »e« ist waagerecht.
Die Minuskeln der Leipziger Antiqua fallen durch Brechungen in der Strichführung auf, wodurch ihnen ein Charakter der gotischen Schriften verliehen wird. Die Versalien hingegen nähern sich mehr der konstruierten Form der Antiqua an, sodass ein Kontrast zwischen Majuskeln und gemeinen Buchstaben entsteht. Tim Ahrens glich in seiner Überarbeitung der Schrift (JAF Lapture) diesen Kontrast zugunsten der gotischen Strichführung an. Die Leipziger Antiqua wurde vor allem für zeitgenössische Literatur eingesetzt.
Thannhaeusers Garamond und Kaprs Leipziger Antiqua sind nur zwei verborgene Schätze des VEB Typoart Dresden. Weiterführende Informationen finden Sie unter den folgenden Links. Insbesondere das Projekt „Typoart Relaunch“ der Typoart-Freunde hat sich intensiv mit der Geschichte des Unternehmens und dessen großer Persönlichkeiten auseinandergesetzt.
https://www.fonts4ever.com/portrait_library.php?id=2