Die Leipziger Typotage 2011
Die 17. Leipziger Typotage standen in diesem Jahr unter dem Motto »Die geheime Macht der Buchstaben – Schrift und Typografie in der zeitgenössischen Kunst«. Zentrales Thema waren die Wechselwirkungen zwischen Typografie und Kunst. Die Referenten gaben einen Einblick in die verschiedenen Erscheinungsformen, in denen sich Schrift und Typografie wiederfinden können. Weiterhin beleuchteten Sie die Funktion und Wirkung von Schrift im westlichen Sprachraum. Besonders war in diesem Jahr, dass die Typotage im Zusammenhang mit der parallel stattfindenden gleichnamigen Sonderausstellung im Museum für Druckkunst Leipzig stattfanden. Die Ausstellung kann noch bis zum 17. Juli besucht werden. Durch die Veranstaltung führte Frau Prof. Sabine Golde und Herr Dr. Reinhard Schubert.
»Typografy can be art! – Typografie kann Kunst sein!«
Will Hill, lehrt Grafik- und Webdesign an der Anglia Ruskin University in Cambridge.
Bereits der erste Vortrag des Tages war ein Novum. Das Referat »Painted Words: language and letterform in the 20th century visual practice« von Will Hill ist das erste in englischer Sprache gehaltende der Veranstaltung. Um wirklich allen Zuhörern den Zugang zum Thema zu ermöglichen, wurde eine simultane Übersetzung projiziert. Dann ging es auf eine kunstgeschichtliche Reise durch das 19. und 20. Jahrhundert – von Kubismus bis PopArt, von Dada bis Flexus und die Wechsel innerhalb der Kunst, d.h. Veränderungen, die stets parallel zu gesellschaftlichen Veränderungen entstanden sind und einen Spiegel dessen darstellen. Hierfür bediente sich die Kunst dreierlei Nutzungsmöglichkeiten von Sprache: als Spiegel (gedrucktes Wort als Motiv), als Fläche (pure abstrakte Formen) und die Nutzung als Instrument (Einsatz von bedrucktem Material). Auf allgemeine Zustimmung traf die Aussage Hill‘s: »Typografie ist die Heirat von Sprache und Bild«. Und ein noch weiter reichendes Zustimmen ist zu hören, als er mit dem Satz abschließt: »Typografy can be art! – Typografie kann Kunst sein!«
Ein ganzes Gebäude aus Buchstaben
Alexander Branczyk, gründete 1994 die xplicit Gesellschaft für visuelle Kommunikation mbH und ist Art Direktor der Musikzeitschrift Frontpage. Nach kunstgeschichtlicher Theorie, sollte die Typografie mit dem Referat von Alexander Branczyk einen starken Praxisbezug bekommen, sprichwörtlich zum Baustein werden. Verdeutlicht durch zahlreiche Bilder, von der Planung bis zur Einweihung im April 2011, präsentierte ein humorvoller Alexander Branczyk das beeindruckende Projekt »Christlicher Garten«.
Ein Gebäude, das ausschließlich aus goldenen Buchstaben und Zeilen aus Aluminium besteht. 61 Textfragmente und Zitate aus dem alten und neuen Testament wurden verarbeitet. Dieses einmalige Konstrukt stellt besondere Ansprüche an die Satzschrift. Zum einen mussten die aus Guss gefertigten 33 Zentimeter hohen Buchstaben zur Erhöhung der Stabilität Rundungen aufweisen und in sich leicht abschüssig sein, damit Regenwasser gut abfließen kann. Desweiteren sollten mindestens sechs Senkrechten pro Meter verbaut werden, um genug Tragkraft zu garantieren. Und das bei 13 verschiedenen Sprachen. Alexander Branczyk hat hierfür in Form und Breite drei verschiedene Schriften gestaltet, d.h. die »Bausteine« inhomogen angelegt. Eine schwierige Aufgabe, welche nicht nur mit Bravur gelöst wurde, sondern sich wirklich gelohnt hat. Denn von welchem Gebäude kann man schon sagen, dass es elf Zeilen hoch und acht Zeilen breit ist? Zu finden ist dieses im »Christlichen Garten«, dem jüngsten einer ganzen Reihe »Gärten der Welt« in Berlin-Marzahn.
Emotionale Wirkung von Druckschriften
Dr. Christian Gutschi, Medienpsychologe und Schriftberater aus Wien.
In seinem Vortrag behandelte Dr. Christian Gutschi die Wahrnehmung und Wirkung von Schrift. Dazu führte er selbst Forschungen durch. In Zusammenarbeit mit weiteren Experten entwickelte er verschiedene Fragestellungen und Methoden, die an Probanden getestet wurden.
Zunächst machte er die Untersuchungsmethoden für Anmutung deutlich. Hierbei wurde die Wirkung verschiedener Schriften mit demselben Text getestet. Sowohl empirische Untersuchungen (Zuordnungen, Befragungen, Polaritätsprofile, Eigenschaftswortlisten) als auch qualitative Untersuchungen (Schriftmerkmale, Gruppendiskussion, Verwendungsgeschichte) wendete das Forschungsteam an. Eine aussagekräftige empirische Methode ist die Ermittlung eines Polaritätsprofils im semantischen Raum. Der Schriftcharakter wird dann nach Form, Zeitgeist sowie Auffälligkeit und Dynamik durch Kurvendiagramme dargestellt.
Letztendlich führten diese Untersuchen zu fünf einschlagenden Thesen.
- Schriften sind beim Lesen unbewusst mit Anmutungen bis hin zu klar spürbaren Emotionen verbunden – je nach Art der Anwendung.
- Der Leser spürt, ob eine Schrift zur Botschaft passt – oder nicht, egal ob Laie oder Experte.
- Wirkung und Bewertung von Schrift ist abhängig von der Verwendungsgeschichte.
- Anmutung hängt nur zum Teil von der Formcharakteristik der Schrift ab.
- Die Sprache hat keinen Einfluss auf die Wirkung von Schrift.
Wer A sagt, muss auch B sagen
Barbara Dechant, freie Grafikerin und Kommunikationsdesignerin.
Buchstaben haben einen besonderen Reiz, vor allem, wenn man sie anfassen kann. Für Barbara Dechant war diese Anziehungskraft zum Glück so groß, dass Sie im Jahre 2005 zusammen mit Anja Schulze das Buchstabenmuseum in Berlin gründete. Mittlerweile ist daraus ein aus 70 Mitgliedern bestehender gemeinnütziger Verein geworden, der mit Vorliebe Buchstaben und Schriftzüge sammelt. Inzwischen ist die Sammlung auf circa 500 Einzelbuchstaben angewachsen. Die Objekte werden nach Kategorien und Profilen eingeteilt. Doch der Verein sammelt nicht nur, er hilft auch, z.B. beim Ersetzen von fehlenden oder defekten Buchstaben in Schriftzügen von Einrichtungen und Geschäften. Weiterhin gibt es Patenschaften, um Restaurationen finanzieren zu können. Bemerkenswert ist außerdem, dass 90% der Besucher aus dem Ausland kommen.
Ihre Buchstaben erlangen die beiden Gründerinnen auf unterschiedlichste Art und Weise, von geschlossenen Geschäften, von Filmsets und als Geschenke von Firmen, teilweise auch aus privater Hand. Es komme häufiger vor, wie Barbara Dechant schmunzelnd erwähnte, dass Sie Anrufe von Leuten bekommt, welche gerade mit einem Buchstaben im Kofferraum unterwegs seien und diesen doch gern vorbei bringen würden. Aufgrund dieser großzügigen Spenden musste das Museum erst ein einziges Mal für ein Sammlerstück bezahlen. An dieser Stelle präsentierte Barbara Dechant stolz das Bild des erworbenen Schriftzuges »Zierfische«, von einer geschlossenen Berliner Zoologie, welchen Sie inklusive zweier Fische unbedingt für das Museum in Besitz bringen wollte.
Der Transport erfolgt meist mit dem privaten PKW. Für größere Buchstaben besteht die Notwendigkeit einen 7,5t LKW zu mieten und einen ausgefeilten Plan parat zu haben, wie die oft empfindlichen Buchstaben unbeschadet durch diverse Eingänge bis an den vorgesehenen Platz im Museum kommen. Durch viel Mühe und Einfallsreichtum ist das bisher immer gelungen und wird zur Freude aller auch belohnt, denn das Buchstabenmuseum ist inzwischen in zahlreichen Berlin-Touristenführen als Geheimtipp aufgeführt. Weitere Eindrücke vom Buchstabenmuseum gibt es hier.
»Shortcut Babylon: Slanted Blog & Magazine«
Herr Prof. Lars Harmsen, Mitbegründer und Geschäftsführer des Unternehmens MAGMA Brand Design, lehrt Konzeption, Entwurf/Typografie und Layout an der FH Dortmund. Julia Kahl, MAGMA Brand Design, Grafikerin.
Das Vortragsduo dieses Tages stellte den Slanted Blog sowie das Slanted Magazine vor, zwei neue und moderne Plattformen für besondere Typografie und Gestaltung.
2004 begonnen als Webblog, entschied man sich bewusst für eine zusätzliche Printvariante – um gezielt zu entschleunigen, die Eigenarten des Papiers zu nutzen und der Kunst ihre Zeit zum Wirken geben zu können. Im Slanted Magazine werden unterschiedliche Papierarten verwendet, welche mit scheinbar konträren Bildern oder Werken versehen gegenüber gestellt werden. Jedoch als Gesamtwerk betrachtet, entsteht ein künstlerischer Zusammenhang, welcher vom Rezepienten seine Zeit und Aufmerksamkeit fordert. Dafür benötigt es an nie endenden Quellen des kreativen Schaffens. Diese haben im Slanted Magazine unterschiedlichen Ursprünge. Einerseits werden viele Illustrationen an die Redaktion gesendet, in der Hoffnung diese Publik machen zu können. Andererseits werden durch die gezielte Vergabe von Themen Künstler angesprochen. Desweiteren bedarf es einem umfangreichen fachlichen Horizont, den Sinn für (noch) Unbekanntes und weite Reisen. Hier berichtete Herr Prof. Lars Harmsen von seinem schaffensreichen Ausflug in den Senegal und der spannenden Zusammenarbeit mit Künstlern in der Hauptstadt Dakar. Und somit stellen Herr Prof. Lars Harmsen und Frau Julia Kahl mit zahlreichen bebilderten Impressionen die Typografie als Kunstform dar, welche durch verschiedene Ausdrucksformen, aufgrund immer neuer Künstler auf allen Teilen der Erde, stets ein anderes Gesicht zu entwickeln vermag. Vor Sympathie und Begeisterung strahlen auch die Gesichter der Gäste nach diesem Vortrag, bei dem vor allem die Leidenschaft für Kunst und Typografie der beiden Referenten und der Stolz mit beidem vereint etwas schönes geschaffen zu haben, zum Vorschein kam.
Die große Kunst des kleinen ABC
Frau Prof. Andrea Tinnes, lehrt Schrift und Typografie an die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Frau Jenny Baese, künsterlische Mitarbeiterin an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle.
Das kleine ABC an einen Inhalt zu knüpfen und es dabei noch einzigartig und herausstechend wirken zu lassen, ist eine große Kunst. Und da diese nicht nur mit kreativer Gabe zu erlangen ist, sondern auch viel Übung und handwerklicher Arbeit bedarf, besteht für Interessierte die Möglichkeit ihr Können auf Kunsthochschulen zu beweisen.
Eine herausragende Rolle spielt hierbei die 1915 gegründete Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Mit sichtlicher Freude und berechtigtem Stolz gewährten Frau Prof. Andrea Tinnes und Frau Jenny Baese einen Einblick in den Curriculum und das Leben auf diesem besonderen Campus. Neben den notwendigen theoretischen Grundlagen, der Suche nach dem was Typografie ist und kann, wird auf der Burg Giebichenstein stark auf die praktische Anwendung gesetzt. Durch die Praxisarbeit wird ein möglichst breites Kulturverständnis entwickelt, denn alle Studenten, von Mode-, Industrie- oder dem Kommunikationsdesign, arbeiten gemeinsam an Projekten. Und so wird Fotografie und Typografie vereint, wenn die Studenten in Workshops mit einem wachsamen Auge und justierter Linse durch Halle schweifen und Buchstaben, beispielsweise von Fassaden, als visuelles Material ihrer urbanen Umwelt ablichten.
Abschließend berichtete Jenny Baese von zwei Projekten. Das erste Projekt heißt »50 Jahre afrikanische Unabhängigkeiten«. Bei ihrem Aufenthalt in Afrika gefiel ihr (unbewusst) die Kunst am besten, die bei der Zusammenarbeit des Slanted Magazine mit den lokalen Künstlern geschaffen wurde und im Goetheinstitut zu besichtigen war. Kurz musste man überlegen, ob Jenny Baese ihre Studenten auf die lange Reise nach Vietnam schickte, als sie von deren Entdeckungstouren durch Ha-Neu erzählte. Gemeint war damit natürlich der Stadtteil Halle-Neustadt, der die Grundlage für das Projekt »Textbotschaften im öffentlichen Raum« bildete. Ziel war es zu analysieren, welche Verbindung Text und Schrift mit der umgebenden Architektur eingehen. Dazu gehörte auch eigene Texte zu inszenieren, zu platzieren und deren Wirkung zu untersuchen und zu dokumentieren. Ergebnis ist eine bildreiche Publikation dieses Projekts.
Das urbane Zeichensystem der Leipziger Kryptogesellschaft
Sascha Kittel, Graffitipädagoge beim Graffitiverein Leipzig.
Für den ungeübten Betrachter sind die meisten Graffitis unschöne und unleserliche Schmierereien. Sascha Kittel, der bereits zu Beginn der 1990er Jahre zu den ersten Graffitisprühern von Leipzig gehörte und 1998 den Graffitiverein Leipzig mitbegründete, möchte den Blick für die codierten Zeichenwelten der bestehenden Kryptogesellschaft schärfen.
Wenn man sich in der Stadt umschaut, sieht man fast überall gesprühte Zeichen, meist Abkürzungen aus drei Buchstaben. Für den Laien stehen oft die gesellschaftlich-politische Relevanz und die bewusste Beschädigung von Immobilien im Vordergrund, doch der Blick auf den künstlerischen Anspruch gehe dabei verloren, so Kittel. Außenstehende sollen die Zeichen nicht verstehen, sie dienen vielmehr der Binnenkommunikation zwischen Gruppierungen der Graffitiszene. Sie übermitteln Botschaften. Diese sogenannten »Tags« gehören zu den Namengraffitis, dem Prototypen des zeitgenössischen Graffitis. Neben diesem gibt es noch andere Formen: Bildgraffiti, Textgraffiti und Mediengraffiti. Die Leipziger Kryptogesellschaft gibt es seit 25 Jahren. Seit 2000 ist sie eine etablierte Subkultur und damit fester Bestandteil der kulturellen Alltagswirklichkeit. Der Graffitiverein möchte die zeitgenössische Kunst und Kultur fördern, durch z.B. Jugendprojekte und Bildungsangebote. So werden u.a. öffentliche Flächen und Einrichtungen mit Graffiti gestaltet. Jugendlichen sollen Möglichkeiten gegeben werden an erlaubten Plätzen ihre Kreativität zu zeigen und nicht wahllos Immobilien beschmutzen.
Die bewegte Typografie
Pantea Lachin, Künsterlin, lehrt »kinetische Typografie« in Berlin und Teheran.
Kinetische Typografie ist auf Bewegung beruhende Typografie. Pantea Lachin beschäftigt sich mit der Rolle von Emotionen in bewegter Typografie. Dabei bedient sie sich der digitalen Medien um die Funktion von bewegter Typografie in dialogischen und narrativen Strukturen zu untersuchen. Besondere Beachtung schenkt sie dabei der verbalen (reiner Sprachinhalt, sehr gutes Übersetzen in Typografie), der paraverbalen (sprachbegleitende Mittel wie Tonfall und Lautstärke) sowie der nonverbalen (Körpersprache wie Gestik und Mimik) Kommunikation. Diese Komponenten emotionalisieren und machen Kommunikation lebendig. Kinetische Typografie kann helfen, neue Kommunikationsmethoden zu erforschen. Lachin untersucht Themen wie Dramaturgie, Aufbau, Didaktik und Inszenierung auf konzeptionelle und gestalterische Parameter. Dazu präsentierte sie verschiedene Textanimationen, mal mit Musik, mal ohne. Die unterschiedliche Wirkung verblüffte das Publikum sichtlich. Abschließend machte Lachin die Ziele der kinetischen Typografie deutlich: effektive und ausdrucksvolle Kommunikation.