PaperC ePublishing Seminar an der HTWK
Den Monat Juni leutete in diesem Jahr eine ganz besondere Veranstaltung an der HTWK ein. Unter dem Motto »E-Publishing - Neue Vertriebswege im Zeitalter des Internets für die Verlagsbranche« lud die Hochschule am 01.06 und 02.06 Studenten aus den Studiengängen Buchhandel/Verlagswirtschaft, Verlags- und Handelsmanagement, sowie Interessierte aus umliegenden Studiengängen zum zuhören und mitmachen ein. Das Seminar mit den Vortragenden Martin Fröhlich (Gründer und Vorsitzender der Firma PaperC) und Katja Splichal (Marketingleiterin bei PaperC) gab tiefe Einblicke in die aktuelle Situation der Verlagswelt und widmete sich neuen Konzepten für Vermarktung und Vertrieb von analogen und digitalen Medien. Wir sprachen mit Katja Splichal über Social Media, neue Wege für Verlage und die Anforderungen an Mensch und Medium.
VH: Sind Ihrer Meinung nach traditionelle Maßnahmen zur Vermarktung von Publikationen heutzutage überhaupt noch relevant oder sollte die Branche nicht gleich vollständig auf Online-Marketing zurückgreifen – immerhin befindet sich ein Großteil der Zielgruppe ja ohnehin fast nur noch im Netz.
KS: Das kommt darauf an. Viele der traditionellen Marketinginstrumente sind ins Abseits geraten, weil eine passgenaue Zielgruppenansprache ebenso wenig möglich sind wie direktes Feedback, Interaktion und eine präzise Erfolgsmessung: welcher Leser kommentiert eine Zeitungsanzeige und schickt den ausgeschnittenen Schnipsel zurück an Onkel und Onkel? Ich persönlich zumindest habe lange keine Meute um eine Litfasssäule stehen sehen, kleine Post Its mit »Gefällt mir« - Däumchen klebend, Handybilder ins www versendend etc. Wie relevant die einzelnen Marketingkanäle allerdings sind, entscheidet der Kunde, nicht der Absender. Online ist dann Ihr Freund, wenn Sie wissen, mit wem Sie reden und wo sie das tun. Außerdem schadet es nicht, auch zuhören zu wollen. Je stärker die Verbindung mit dem Unternehmen, dem Produkt oder der Identifikationsfigur, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Engagement einen tatsächlichen Mehrwert erzielt. Wenn wir aufhören »Publikationen« zu verkaufen, sondern statt dessen Emotion, Bequemlichkeit, Ansehen, Zerstreuung, Träume, Prokrastination und andere Annehmlichkeiten ins Angebot nehmen, verändert sich das Produkt, die Sicht auf den Kunden und das Herangehen an Wertschöpfung: ein Prozess, in dem Marketing durch Social Media mit der Produktentwicklung und -optimierung, dem Kundensupport und der Marktforschung verzahnt wird. Die Buchbranche und das Buch selbst wären heute schon woanders, wenn die Leser etwas mitzuentscheiden hätten. Marketing ist mehr als die Summe der einzelnen Teile und Marketing im Unternehmen ist immer dann gut, wenn es zu wirtschaftlich messbaren Ergebnissen führt - likes und retweets können dafür Indikatoren sein, eine Garantie sind sie nicht.
VH: Selbst die Kleinsten in der Verlagsbranche sind mittlerweile eifrig ins Web 2.0 übergesiedelt, da es natürlich eine unglaublich kostengünstige Form für Marketingzwecke darstellt und man theoretisch recht einfach eine immense Anzahl von Leuten erreichen kann. Werden die Möglichkeiten überhaupt schon ausgeschöpft oder wird dieser Kanal maßlos überschätzt?
KS: Zunächst mal werde ich mich hüten, 3000 Verlage über einen Kamm zu scheren und das »Web 2.0« als ihren gemeinsamen Kanal zu bezeichnen. Ein Kleinstverlag, der sein Thema, seine Passion, seinen inhaltlichen USP identifiziert hat, hat hervorragende Chancen, seine Zielgruppe fertig vorsortiert und einwandfrei identifiziert im Netz zu finden - weltweit, kostengünstig und mit einer enormen, stetig wachsenden Abdeckung innerhalb der Gesamtbevölkerung. Die wenigsten Leute wollen Fan eines Verlages werden, außer er ist eben so cool wie der »Verbrecher Verlag«. Die Leute werden Fan von Idealen, von Überzeugungen, Mythen und Symbolen, sie identifizieren sich mit Themen und Trends, grenzen sich über ihre politischen Überzeugungen ebenso ab wie über ihre Freizeitgestaltung und das bevorzugte Fortbewegungsmittel. Die Möglichkeiten sind längst nicht ausgeschöpft, denn sie sind unendlich vielfältig. Dennoch wird noch an der Oberfläche gekratzt, denn so richtig überzeugt bin ich noch von keinem Angebot. Ich habe gerade ein wunderbares Buch aus dem Hause Ulmer gelesen - »Joghurt, Quark und Käse«. Das Buch hat mich so begeistert, dass ich bei einem Online-Versand alle notwendigen Werkzeuge und Hilfsmittel bestellt habe, um selbst Käse machen zu können. Ich suche mir jetzt allerdings eine Käse-Community, denn meine Fragen zum Zickenlab haben auf der Ulmer-Fanpage ja nichts verloren ... und gerade da haben es »die Kleinsten in der Verlagsbranche« besser. Die haben nämlich die Chance, sich themenspezifisch zu positionieren und ihre Expertise mit Hilfe der gesamten Klaviatur des Web zu demonstrieren. Kostet alles Zeit, ich weiß, aber wer für seine Sache brennt, kennt ja bekanntlich keinen Feierabend.
VH: Wie haben sich Ihrer Meinung nach die beruflichen Anforderungen innerhalb der Buch- und Medienbranche verändert? Sehen Sie diese Entwicklungen eher positiv oder negativ?
KS: Entwicklung ist nicht negativ oder positiv, sie ist. Sie ist, zugegebenermaßen, sogar für meinen Geschmack ein Bisschen schnell aber ich denke nicht, dass sich daran etwas ändern wird. Als eine der wesentlichen Anforderungen, fernab all der Erfordernisse um technisches Know-How und neue Medien, denke ich, ist die Fähigkeit, die gegenwärtigen Geschehnisse als Herausforderung zu begreifen. Große Teile der traditionellen Buchbranche sind vom Aussterben oder zumindest tiefgreifenden, auch personellen Transformationsprozessen »bedroht« und das nach gerade einmal 10 Jahren Internet für alle. Darüber sollte man sich gewaltig Kopfzerbrechen machen und wer es nicht tut, hat meiner Meinung nach den Ernst der Lage nicht erkannt. Und da liegt die eigentliche Anforderung: auf neue Fragen nicht mit alten Antworten reagieren und sich mindestens einmal am Tag fragen: »was mache ich hier eigentlich und mache ich es noch mit Leidenschaft?« Alles andere kommt dann schon.
Wir danken Katja Splichal für ein aufschlussreiches Gespräch.