Das Gautschfest
Das Gautschfest – ein jahrhundertealtes Ritual
Alte Bräuche sind in der Regel trocken und staubig. Nicht so an der Leipziger Hochschule für Wirtschaft, Technik und Kultur, wo junge Leute – neben aktuellen Inhalten der Druck- und Medienindustrie – auch immer noch die Kunst des Buchdrucks erlernen. Das Studium umfasst hier nämlich auch ein unfreiwilliges Bad im kalten Wasser. »Gautschfest« heißt das Ritual, das die neuen Studenten alljährlich im Sommer über sich ergehen lassen müssen. »Das ist ein alter Brauch aus dem Buchdruck«, erklärt Thomas Schulze. Normalerweise unterrichtet er in der Medienvorstufe, doch zum Gautschfest schlüpft er in die Gewandung des so genannten Gautschmeisters. »Zur Beendigung der Lehrzeit, bevor sie Gesellen wurden, mussten die Lehrlinge eine Feier ausgeben und Gag und Gaudi über sich ergehen lassen.« Nicht immer zur Freude der »Kornuten«, wie die Anwärter genannt werden: der im 17. Jahrhundert aufgekommene Brauch führte zwischenzeitlich schon mal zu ausgeschlagenen Zähnen; man schor den Lehrlingen mit einem stumpfen Rasiermesser die Haare und nahm sie teilweise so hart ran, dass sie am Ende eher tot als lebendig schienen. Die um ihre Arbeitskräfte besorgten Meister verboten die rabiate Feier daraufhin. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Ritual in harmloser Form wieder belebt und ist an der HTWK seit rund 20 Jahren üblich.
»Gautschen«
Das Wort gautschen stammt aus der Papierherstellung. Nachdem das Papier frisch geschöpft ist wird mit dem Gautschschwamm die restliche Feuchtigkeit herausgepresst. »Und damals wurden eben auch die Lehrlinge noch mal ein bisschen in die Mangel genommen«, so Schulze. Er wird bei der Zeremonie die Studenten per Handschlag in den Kreis der Jünger Gutenbergs aufnehmen - und danach mit einem »Packt an!« den Packern überlassen, die sie einfangen, in einen Bottich mit kaltem Wasser werfen und den Schwammhalterinnen übergeben, die sie auf zwei nasse Schwämme setzen und ihnen den Gautschtrunk einflößen: ein Gebräu aus Bier, Kaffeesatz, Tabasco und allerlei Gewürzen. Das genaue Rezept ist ein Geheimnis und dem Fachschaftsrat Medien, der Jahr für Jahr das Gautschfest organisiert, vorbehalten. Danach gibt es eine Urkunde mit dem Wappen Gutenbergs, die die Gautschlinge offiziell zu Mitgliedern der »Schwarzen Zunft« macht, wie sich das Druckgewerbe selbst bezeichnet. Das Ritual erfreut sich allgemeiner Beliebtheit, auch wenn es »kalt, nass und schrecklich« ist, wie sich eine Studentin erinnert.
Die Gautschlinge
Rund achtzig Kornuten zählt die Leipziger HTWK jedes Jahr. Gegautscht werden Studenten der Buch- und Medienproduktion, Drucktechnik, Verpackungs- und Medientechnik, aber auch neue Professoren, die nicht durch eine Urkunde nachweisen können, dass sie das Procedere bereits hinter sich haben. Für die Studenten findet das Gautschfest nach dem Bleisatz-Praktikum statt, in dem sie den Buchdruck à la Gutenberg lernen. »So schafft man eine Verbindung zu dem Gelernten«, findet Schulze, der mit vier Gautschurkunden im Schrank schon als Veteran gelten kann. Jedes Gautschfest bringt neue Herausforderungen für die Packer: die Kornuten wehren sich, so gut sie können, und schaffen es in ihren Fluchtversuchen schon einmal vom Gutenbergplatz bis zum Augustusplatz oder retten sich mit Klimmzügen auf das Garagendach. Auch der ein oder andere Packer wird dann selbst mit in den Bottich getaucht, sollte sich der Gautschling zu sehr festklammern.
Unfreiwillige Kornuten
Nicht zuletzt entschädigt die anschließende Feier für den Schrecken. Besonders tückisch: Der Bottich steht den ganzen Tag auf der Wiese, umgeben von einem Bannkreis, den nur die Packer und der Gautschling betreten dürfen. Wer die Linie aus Sägemehl übersieht wird gnadenlos ins Wasser geworfen. Neben Kindern von Mitarbeitern erwischte es so auch schon vorwitzige Presse-Fotografen.